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2019-01-14

Interview mit Dr. Michael Binder, Director Sustainability Development, Evonik Nutrition & Care GmbH

1. Herr Binder, wenn man an Evonik denkt, denkt man nicht sofort an Food. Dennoch ist das Unternehmen schon seit Jahren im Lebensmittelbereich tätig. Was genau macht Evonik da?

Das Segment Nutrition & Care von Evonik ist in vielfältiger Weise mit Ernährungsthemen befasst. Zum einen tragen wir mit modernen Technologien, Produkten und Services für eine gesunde, effiziente und nachhaltige Tierernährung dazu bei, Menschen mit wertvollem tierischem Protein zu versorgen – und das mit geringstmöglichem ökologischen Fußabdruck. Unsere essenziellen Aminosäuren wie MetAMINO® oder Biolys® helfen, das Rohprotein im Tierfutter zu senken und Ernährungsdefizite auszugleichen. Darüber hinaus hat Evonik in den letzten Jahren ein Portfolio an Inhaltsstoffen für Nahrungsergänzungsmittel sowie ersten eigenen Produkten für den Endverbraucher aufgebaut. 

2. Evonik engagiert sich von Nahrungsergänzungsmitteln für Menschen über die Geschlechterbestimmung bei Hühnern bereits im Ei bis hin zur Nutzung von Meeresalgen für die Herstellung von Omega-3-fettsäurehaltigen Ölen für die Lachszucht – wo liegt für Sie die Zukunft der Nahrungsmittelproduktion in Deutschland? 

Die Zukunft der Nahrungsmittelproduktion – in Deutschland wie auch global – liegt darin, möglichst effizient mit den natürlichen Ressourcen umzugehen. Das heißt, nicht mehr an Boden, Wasser und Rohstoffen einzusetzen als erforderlich; und Mensch und Umwelt durch Produktion, Transport etc. nicht unnötig zu belasten. Dazu müssen wir immer die gesamte Wertschöpfungskette betrachten und Nährstoffkreisläufe erkennen und schließen. Ein gutes Beispiel ist unser Konzept des Circular Farming: Durch gezielten Zusatz von Aminosäuren bei der Tierfütterung, die Verwertung von Gülle und Mist in einer Biogasanlage und den Einsatz des Gärrests als Dünger lässt sich der Stickstoff- und Phosphorüberschuss in der Landwirtschaft deutlich senken. Ähnliches ist durchaus auch im Bereich Aquakultur denkbar. 

3. Lassen Sie uns über die Meeresalgentechnologie sprechen. Sie wollen Fischöl durch Algenöl ersetzen. Warum?

Bisher werden in Aquakulturen zum Beispiel Lachse oder Garnelen mit Futter ernährt, das zu einem erheblichen Anteil aus marinen Ressourcen stammt. Fischmehl als Proteinquelle und Fischöl für die Versorgung mit Omega-3-Fettsäuren werden aus Fischen gewonnen, die extra dafür gefangen werden. Man muss sich vorstellen: Um in der Aquakultur ein Kilogramm Lachsfleisch zu erzeugen, braucht es zwei Kilogramm Wildfisch. Unser Joint-Venture Veramaris möchte den steigenden Bedarf an Omega-3-Fettsäuren für die Fischzucht decken, ohne die marinen Ressourcen zu übernutzen. Deshalb setzen wir natürliche Meeresalgen ein, die mittels Fermentation aus Zucker ein Omega-3-fettsäurehaltiges Öl erzeugen. Für den Endkonsumenten, der seinen Bedarf an lebenswichtigen Omega-3-Fettsäuren durch den Verzehr von Lachs decken möchte, ergibt sich daraus ab diesem Jahr eine neue Option. 

4. Nahrungsergänzungsmittel sind „in“. Welche Trends sehen Sie sonst bei der menschlichen Ernährung? 

Aktuell macht der Ansatz einer personalisierten Ernährung Furore. Auch Evonik beschäftigt sich forschungsseitig mit dem Thema. Die Idee ist faszinierend: dass Menschen perspektivisch ihren individuellen Nährstoffbedarf ermitteln und ihre Ernährung darauf einstellen. Nahrungsergänzungsmittel spielen dabei natürlich eine wichtige Rolle. Aber eigentlich muss man früher anfangen – bei der Produktion tierischen Proteins. Im Idealfall werden alle Ebenen genutzt, um mögliche ernährungsphysiologische Defizite auszugleichen. 

5. Sie sind verantwortlich für das Thema Nachhaltigkeit im Segment Nutrition & Care von Evonik. Welche Rolle spielt für Ihr Unternehmen die Nachhaltigkeit bei der Suche nach Innovationen im Food-Bereich?

Ich sehe Feed und Food immer als Einheit. Am Ende gilt es, Menschen gesund und sicher zu ernähren. Um diesen Anspruch zu erfüllen und dabei Gesellschaft und Umwelt so wenig wie möglich zu belasten, brauchen wir moderne Technologien – in Ackerbau und Tierzucht ebenso wie in der Lebensmittelverarbeitung, beim Transport zum Lebensmittelhändler und bei der individuellen Zubereitung. Dazu gehört für mich auch, dass sämtliche durch Konsum oder Ernährung verursachten gesellschaftlichen Kosten in eine ökologische und ökonomische Gesamtbewertung der Wertschöpfungskette einbezogen werden – etwa die Gesundheitskosten, die durch ungesunde Ernährung entstehen oder die Umweltprobleme im Kontext der Landwirtschaft. Diese ganzheitliche Betrachtungsweise könnte ein großes Innovationspotenzial bei allen Partnern der Wertschöpfungskette anstoßen. Evonik spielt hier eine zentrale Rolle, denn wir liefern nicht nur Produkte, sondern in den meisten Fällen Systemlösungen. Unser hohes Innovationspotenzial, getrieben durch Nachhaltigkeit, ist überlebenswichtig für unser Unternehmen und essenziell, um Verbesserungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu bewirken.

6. Ein Projekt, das Sie gerne vorstellen wollen?

Neben den schon erwähnten Innovationen für die Praxis engagieren wir uns auch für die Verbesserung wissenschaftlicher Methoden, um etwa Fragen zum Wasserfußabdruck eines Produkts zu klären, neue Wege in der ökobilanziellen Bewertung von Lebensmitteln zu beschreiten oder Veränderungen der Biodiversität in marinen Ökosystemen zu verfolgen. Ein aktuelles Beispiel ist unsere Beteiligung am Forschungsvorhaben WELLE, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert wird. Ziel des Vorhabens ist es, eine Methode zur Bestimmung des Wasserfußabdrucks von Unternehmen zu entwickeln, die lokale Umweltauswirkungen innerhalb der globalen Wertschöpfungsketten erkennbar macht. Denn oft fällt der größte Wasserverbrauch gar nicht am Produktionsstandort an, sondern bei Zulieferern sowie in Energie- und Materialvorketten. Oft sogar in Regionen mit Wassermangel. Wir nehmen mit zwei Fallstudien an dem Verbundprojekt teil, um die neue Methodik zu testen und zu optimieren.