Interview mit Raffael Wohlgensinger, Co-Founder & CEO, LegenDairy Foods

Milch ohne Kuh – Wie gewinnen Sie den Rohstoff, aus dem Ihre Milch-Produkte hergestellt werden?

Rein pflanzliche Lebensmittel sind nicht in der Lage, den Geschmack, die Textur und die Funktionalität von tierischen Produkten perfekt zu imitieren. Gleichzeitig müssen wir dringend die Produktion und den Konsum tierischer Lebensmittel reduzieren, um die negativen Auswirkungen auf unsere Umwelt zu minimieren. Legendairy Foods produziert mithilfe von Mikroorganismen echte Milchproteine (Kasein und Molkenprotein), die wir dann in unserem Food Design Team zu Käse weiterverarbeiten. Genau wie eine Kuh, die Nährstoffe aus dem Futter in Milchbestandteile umwandelt, wandeln unsere Mikroorganismen Nährstoffe aus einem pflanzlichen Fermentationsmedium – vor allem Kohlenhydrat und Stickstoff – in Milchproteine um. 



Was sind die Vorteile Ihres Produktes?

Das Stichwort lautet Konversionseffizienz: Während Kühe Nährstoffe mit einer Effizienz von 4 bis 14 Prozent umsetzen, können Mikroorganismen in einer Fermentation eine Effizienz von 40 bis 80 Prozent erreichen. Folglich können echte Milchprodukte mithilfe unserer Technologie ressourcenschonender hergestellt werden (weniger Land, Wasser und Energie). Darüber hinaus gibt es eine ganze Reihe weiterer Vorteile. Einerseits erübrigen sich jegliche ethischen Probleme der Herstellung, da keine Tiere eingesetzt werden. Andererseits können wir Produkte mit optimiertem Nährstoffprofil entwickeln, die zudem keine Laktose, Antibiotika oder Hormone enthalten.



Kann man die Produktionsanlagen auch in Städten unterbringen?

Ein weiterer Vorteil unserer Technologie ist in der Tat, dass die Produktion nicht mehr an große Weideflächen gebunden ist, sondern dezentral erfolgen kann. Produktionsanlagen können da gebaut werden, wo die Produkte auch konsumiert werden. Wichtig wird in Zukunft sein, Fermentationsanlagen so zu positionieren, dass sie einerseits nahe beim Konsumenten liegen und andererseits gut mit Nährstoffen beliefert werden können. Das heißt, Milchprodukte können auch da lokal produziert werden, wo aufgrund des Klimawandels traditionelle Kuhhaltung nicht oder nur schwer möglich ist. Wir müssen beispielsweise nicht mehr tausende Kühe von Neuseeland nach China schiffen, um den steigenden Bedarf an Milchprodukten im asiatischen Markt zu decken, wir replizieren unseren Fermentationsprozess einfach vor Ort.



Wird die „Molekularisierung“ der Lebensmittel weiter voranschreiten?

Ich weiß nicht, ob „Molekularisierung“ das richtige Wort ist, um ehrlich zu sein. Viele Journalisten und „Experten“ sprechen ja nach wie vor von Produkten aus dem Labor. Dies ist tatsächlich eine komplett falsche Vorstellung; natürlich wird die Technologie in einem Labor entwickelt (wie viele andere Technologien auch). Die Produktion selbst jedoch verläuft in großen Fermentationsanlagen, wie wir sie heute etwa aus der Bierproduktion kennen. Das Wort „Molekularisierung“ geht für mich da in die gleiche Richtung und lässt den Konsumenten im Glauben, dass Lebensmittel bisher fundamental anders hergestellt wurden. Ob Euterzelle in der Kuh, Hefezelle im Fermenter oder Pflanzenzelle auf dem Feld – die Strukturen und Prozesse bleiben die gleichen, Zellen jeglicher Art wandeln Moleküle in Nährstoffe um. Wenn wir aber das Wort „Molekularisierung“ so verstehen, dass immer kleinere Organismen unsere Lebensmittel herstellen, d.h. weg von Säugetieren hin zu Pilzen, Hefen und Bakterien, dann lautet meine Hypothese ganz klar „ja“. Der Grund liegt auf der Hand: Wenn wir im Jahr 2050 zehn Milliarden Menschen ernähren und weiterhin Produkte genießen wollen, die Teil unserer Identität und Kultur sind, dann brauchen wir eine effizientere Produktion. Seit Tausenden von Jahren domestizieren Menschen Tiere – wir gehen in dieser Evolution einfach einen Schritt weiter und domestizieren Mikroorganismen.

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